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Teil 4: Der Workaround als Standardprozess


Wie Workarounds entstehen und wie Sie diese wieder in einen Standardprozess zurückführen.


Die Teile 1 und 2 unserer Projektmanagement-Serie beschäftigten sich mit den grundsätzlichen Rahmenbedingungen eines Projekts, wie beispielsweise Informationsasymmetrien, der Projektkommunikation sowie der Formalisierung von Projekten.


In Teil 3 betrachten wir unterschiedliche Problemstellungen, die beim Ramp-up eines Projektes a) sehr häufig vorkommen und b) zu deutlichen Ablaufstörungen, ungeahnten Folgefehlern und im schlimmsten Fall zum Kontrollverlust führen können.


Dies sind einerseits systemseitige Engpässe, zum anderen temporär implementierte Behelfslösungen – sogenannte Workarounds – die anschließend nicht in den optimalen Prozess zurückgeführt werden. Wie man sowohl „Bottlenecks“ als auch „Notlösungen“ durch gute Planung antizipieren, reduzieren oder im besten Fall ganz vermeiden kann, ist Thema dieses Unterkapitels unserer Projektmanagement-Serie.


Teil 4: Der Workaround als Standardprozess


„Ein Workaround (englisch für „Notlösung“, „Behelfslösung“, zu to work around something „um etwas herum arbeiten“) ist ein Umweg zur Vermeidung eines bekannten Fehlverhaltens eines technischen Systems.“


Umfangreiche technologische Veränderungen in einem Unternehmen – beispielweise Logistikprojekte – wirken sich auf fast alle Bereiche und Prozesse innerhalb der Organisation aus. Deshalb ist es umso wichtiger, die Initialisierung eines neuen Systems oder neuer Systemkomponenten exakt und vorausschauend zu planen und möglichst reibungslos zu gestalten, indem man alle davon betroffenen Unternehmensbereiche frühzeitige einbezieht.

Wie in unserem letzten Beitrag, „Das Bottleneck-Problem“, bereits skizziert, kommt es allerdings gerade in der Startphase komplexer Projekte oft zu systemseitigen Konflikten, zu unvorhergesehenen Engpässen innerhalb des Prozessdurchlaufs und/oder zu neu strukturierten Abläufen, die dann nicht wie erwartet funktionieren.


Ein gängiger und durchaus geeigneter Lösungsweg, um solche Problemstellungen kurzfristig zu beseitigen, sind Workarounds für nicht funktionsfähige Prozessteile. Diese werden normalerweise in frühen Projektphasen definiert und sollten im Laufe des Projektes dann wieder zurückgenommen werden.


Sollten... Denn leider gilt hier wie so oft: Das Provisorium hält am längsten!



Problemstellung


Der mißglückte Dinnerabend


Kehren wir zu unserem (missglückten) Dinner-Abend aus dem vorherigen Blogbeitrag zurück und analysieren, wo die größten Schwierigkeiten bei der Umsetzung von komplexen Projekten lauern.


Was in der Theorie noch funktional richtig, logisch und somit beherrschbar erschien, stellt sich im laufenden Betrieb oft ganz anders dar. Vor allem dann, wenn sich das Test-Setup grundsätzlich am Standardprozess orientiert und mögliche Ausnahmen und Abweichungen – wie unser Vegetarier beim 5-Gang-Menü – nicht mit betrachtet werden. In der Praxis können einzelne Prozessschritte dann oft weit komplizierter und umständlicher sein als vorab angenommen. Im schlimmsten Fall entstehen – wie bei unserem (fast) perfekten Dinner – Konflikte und Engpässe in der Abarbeitungshierarchie, die dann zudem auch noch alle nachfolgenden Tätigkeitsschritte beeinflussen.

Beim Produktivgang zeigt sich zudem auch, ob das über Jahre gewachsene „Biowissen“ der Mitarbeiter bei der Strukturierung von neuen Abläufen angemessen berücksichtigt wurde. Teilprozesse, die zuvor in verschiedenen Bereichen der Organisation nicht gut dokumentiert worden sind, werden spätestens jetzt zum Problem, gegebenenfalls auch zum echten Show-Stopper.


Der Workaround entsteht


Als schneller Ausweg für den Augenblick werden oft Workarounds definiert, die sich anschließend in vielen Fällen als Standardprozesse etablieren und sich – vor allem bei einer Vielzahl derartiger „Notlösungen“ – ungünstig auf das System auswirken. Die Problematik besteht mittel- bis langfristig also vor allem darin, die ja durchaus praktischen Workarounds wieder zurückzubauen. Denn: Je besser und länger das Behelfssystem funktioniert, umso mehr verliert das Kernproblem seine Priorität für den Anwender. Die aufwendigere, aber eigentlich optimale Lösung wird dann zumeist zurückgestellt.


Ein Beispiel aus der eigenen Projektpraxis



Nehmen wir ein Beispiel aus meiner bisherigen Projekterfahrung: Zum Start eines neugebauten, in weiten Teilen automatisierten Logistikzentrums, lief einiges zu Beginn nicht wie gewünscht. Das brandneue Release der Lagerverwaltungssoftware war noch nicht vollständig fertig gestellt und damit in Teilen auch unzureichend getestet. Im Ramp-up erwiesen sich dann einige Abläufe als noch nicht ideal. Im Prozess war vorgesehen, dass kommissionierte Ware geführt auf Bereitstellungsplätze zu verbringen war. Der jeweilige Barcode des Platzes war bei Ankunft einzuscannen. Da zum Start nicht alle Plätze mit Barcodes ausgezeichnet werden konnten (Bodenmarkierungen), war es notwendig, auch manuelle Eingaben des Platzes zuzulassen. In der Folge entschieden einige Staplerfahrer den ersten Teil des notwendigen Barcodes auf dem Stapler anzubringen. Dann scannten Sie diesen Barcode und ergänzten bereits während der Fahrt – um Zeit zu sparen – die angezeigte Zielnummer auf dem Scanner und bestätigten die abzugebende Position.


Wozu das führte?


Zum einen ist die Bedienung des Scanners während der Fahrt ein äußerst gefährliches und unzulässiges Unterfangen. Zum anderen wurden dann in zahlreichen Fällen die richtigen Behälter am falschen Platz oder die falschen Behälter am richtigen Platz abgestellt. In der Folge stieg die Zahl falsch ausgelieferter Artikel sowie der Suchaufwand durch diese Fehler immens und beanspruchte die ohnehin schon knappen Ressourcen des Leitstandes.


Was war zu tun?


Das Abstellen des Workarounds war mehrstufig. Zunächst musste sichergestellt werden, dass niemand während der Fahrt ein elektronisches Gerät bedienen darf (Ergänzung der Arbeitsanweisung). Weiterhin mussten dringend die fehlenden Barcodes ergänzt werden, so dass die Ursache des Hilfsprozesses wegfiel.

Hier ist gut zu erkennen, dass das Abstellen des Workarounds neben einer technischen Lösung auch immer eine Komponente der Mitarbeiterführung beinhaltet. Mitarbeiter müssen nachgeschult werden und festgestelltes Fehlverhalten ist vom jeweiligen Vorgesetzten zu unterbinden und ggfs. zu ahnden.



Vermeidungsstrategien


Wie bei jedem gut geführten Projekt sind auch hier vorausschauende Planung und exakte Dokumentation der Schlüssel zur Vermeidung von unerwünschten oder nicht mehr kontrollierbaren Verläufen.


Dokumentation


Ich lege persönlich sehr viel Wert auf eine gewissenhafte Dokumentation, insbesondere natürlich auch bei „Ausnahmelösungen“ und Abweichungen von geplanten Prozessen. Bereits in der Planungsphase, also vor dem operativen Projektstart, sollte man sich mit der Dokumentation und den dafür eingesetzten (Software-) Tools intensiv auseinandersetzen. Auch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt ist es wichtig, die Mitarbeiter entsprechend ihrer jeweiligen Rolle miteinzubinden. Sowohl die Dokumentation als auch die Vorgehensweise bei der Implementierung und Rückführung von Workarounds sollten vorab exakt feststehen und mit allen abgestimmt sein.

Dies in akuten – und meist zusätzlich dynamischen – Problemsituationen erst noch definieren zu müssen, erhöht nur die Gefahr von Kontroll-verlust. Falls zudem die Schulung der Mitarbeiter bezüglich der Dokumentationsweise und -tools erforderlich sein sollte, kann man auch diese noch rechtzeitig – vorab! – durchführen. Die einzelnen Workarounds sollten fortlaufend am besten tabellarisch in einer Liste zentral dokumentiert sein, so dass sie nach Erledigung wieder geordnet auf den Standardprozess zurückgebaut werden können. Eine permanente, gewissenhafte Aktualisierung der offenen und bereits erledigten Workarounds ist essentiell, damit alle an der Abwicklung Beteiligten stets Klarheit über den Status Quo haben.


Ausnahmen konsequent abstellen oder in den Standardprozeß überführen


Sobald der Standardprozess grundsätzlich funktioniert, empfehle ich, keine Ausnahmen mehr zuzulassen. Auch dann nicht, wenn sich noch kleinere Engpässe abzeichnen. Denn schließlich soll – und muss – das System auf lange Sicht in der geplanten, optimal konfigurierten Form laufen.

Andererseits ist es immer sinnvoll zu prüfen, ob ein Workaround gegebenenfalls partiell in den Standardprozess integriert werden kann und sich dieser dadurch eventuell verschlanken lässt. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht und halte es für wichtig, bei derartigen Modifikationen die Einschätzung der Mitarbeiter einzuholen und deren praktische Erfahrung mit den zu betrachtenden Prozessen zu berücksichtigen. Den Mitarbeitern müssen daneben nach Rückbau die Folgeprobleme der Nichteinhaltung wie beispielsweise Falschlieferungen, Mehraufwand an anderer Stelle oder Gefährdungen für Leib und Leben ausführlich und wenn nötig mehrfach erklärt werden.


Die richtige Organisationsstruktur


Abschließend möchte ich noch eine Empfehlung geben, wie man die Organisationsstruktur in der Ramp-up-Phase anpassen sollte, um eine noch bessere Koordination und die konsequente Einhaltung der Vorgaben zu erreichen. Ich habe es bei der personellen Aufstellung von Projektteams als sehr hilfreich erlebt, für einzelne Bereiche Prozess-Owner zu benennen, die sich als Supervisor um die Einhaltung der Prozesse kümmern, diese monitoren und überprüfen.


Ausblick


Stehen Sie zu Ihren Entscheidungen und behalten Sie diese auch in schwierigen Projektphasen bei. Halten Sie an geplanten Prozessen fest und geben Sie auch dem Druck von außen nicht nach, wenn Sie eine Projektentscheidung für richtig halten. Wohin Wankelmut und Opportunismus in Projekten führen kann, damit beschäftigt sich der kommende Teil unserer Projektmanagement-Serie.



Wir unterstützen Sie in der Projektvorbereitung und Umsetzung!


Wir bieten Ihnen die notwendigen Konzepte, um Ihre Projektstruktur geeignet aufzubauen und Ihr Projekt im Unternehmen zu begleiten. Aus unserer langjährigen Projekterfahrung resultiert ein Maßnahmenbaukasten, mit dem wir auf die wesentlichen o.g. Problemfelder mit genau darauf abgestimmten Handlungsempfehlungen reagieren können. Zur Unterstützung der Maßnahmen verfügen wir im Bedarfsfall über ein Netzwerk versierter Dienstleister, die mit Kapazitäten und spezialisiertem Know-how operativ unterstützen können.

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